Das Dentomobil

UNSERE MOBILE PRAXIS IN BRASILIEN

Die Geschichte beginnt in der DDR, Ende der 70er Jahre. Im LKW Werk ROBUR in Zittau werden die Lastwagen für die Nationale Volksarmee gebaut. Wie alle Militärfahrzeuge sehen sich die olivgrün lackierten Fünftonner so ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Nur zehn Fahrzeuge sind ein bisschen anders als die anderen.

 

 

 

 

 

 

Die Seitenwände des Kastenaufbaus lassen sich hydraulisch auf die Fußbodenebene der Ladefläche herunterklappen, sie werden somit zum neuen Fahrzeugboden und vergrößern die Grundfläche binnen weniger Minuten um das Dreifache. Stabilisatoren fahren aus, um den Wagen nicht kippen zu lassen. Gleichzeitig klappen faltbare Gummiplanen aus dem Wageninneren heraus, die Dach und Seitenwände bilden. Das neue „Großraumfahrzeug“ ist nun breiter als lang. Auf dem Dach fallen fest montierte Solarzellen auf. Bei genauem Hinsehen entdeckt der technisch versierte Betrachter im Inneren des LKW noch mehr. „Vitale“ Schaltungen und Stromkreise sind doppelt angelegt, überall verschiedene Steckdosen mit 12, 24 und 220 Volt, viele diverse Zusatzaggregate wie Ladegerät, Stromgenerator, Solarwandler, Transformatoren u.v.m. Auf beiden Seiten stehen zusätzliche Treibstofftanks zur Verfügung, ein zentraler Frischwassertank, mehrere große Batterien mit Ladekontrollanzeigen, ein Allradwechselgetriebe mit vielen Untersetzungen und unzählige andere Details. Kurzum – ein Wagen „von der Stange“ ist das nicht. Diese Fahrzeuge wurden damals gebaut, um im Falle eines Konfliktes den Führungskadern von SED und NVA als mobile Befehlszentralen zu dienen.

Dazu kam es – Gott sei Dank – nicht. Mit der Wiedervereinigung landete viel „Überflüssiges“ aus den Beständen der Armee in neuen Händen, die damit nichts anzufangen wussten. Bis auf zwei dieser Fahrzeuge. Diese strandeten bei der Landesregierung von Rheinland-Pfalz, nicht unbemerkt von einem Herrn Sturm, Berufsschullehrer auf einer technischen Schule in Rodalben bei Kaiserslautern. Dieser umtriebige Pädagoge war gleichzeitig im Vorstand eines Vereins mit dem Namen „Bona Espero“, der in Brasilien landwirtschaftliche und medizinische Hilfsprojekte organisierte.

Nun folgte ein Stück selten erlebter deutscher „Unbürokratie“. Die beiden Fahrzeuge wurden der Schule des Herrn Sturm überstellt, zusammen mit einem ansehnlichen Förderbetrag des Landes.

In einigen tausend Arbeitsstunden von Technikern und Schülern aller Gewerke dieser Berufsschule wurde eines der beiden Autos (das andere diente als Ersatzteillager) zu einem geländetauglichen und universell einsetzbaren „Klinikmobil“ ausgebaut, einer autarken fahrbaren Ambulanz, in die als i–Tüpfelchen noch eine komplette zahnärztliche Behandlungseinheit von Siemens nebst Kompressor installiert wurde!

 Als letzte Schulklasse tobten sich die Maler-Lehrlinge aus. Das farblose, graugrüne Exterieur wird am Schluss mit kreativen Dschungelbuchmotiven versehen – Affen, als Sanitäter verkleidet, betreiben eine Urwald-Praxis mit Blaulicht auf zwei Rädern – ideal für das Einsatzgebiet Brasilien.

Hier endet die Geschichte, um viel später mit uns noch einmal neu zu beginnen.

Der Verein „Bona Espero“ mit seiner sehr umtriebigen Vorsitzenden verlässt sich auf die Zusagen der brasilianischen Konsulate und, nachdem alle Zollformalitäten erledigt sind, verlässt das Auto Hamburg mit Zielhafen Santos in Brasilien. Dort wird es von der „Alfandega“ (bras.Zoll) sofort an die Kette gelegt und nach vielen Monaten und noch mehr fruchtlosen Petitionen zu guter Letzt dahin zurück verfrachtet, wo es herkam – in die Pfalz. Begründung: Es dürfen keine gebrauchten Fahrzeuge nach Brasilien eingeführt werden.

Sowohl die Finanzen als auch die Nerven des Vereins waren nach dieser Aktion defizitär und so wurde das Auto zu einem symbolischen Preis von 1 DM an einen Verein verkauft, der es in Nepal zur Behandlung von Bergbauern einsetzen wollte. Der „Vorstand“ dieses Vereins – ein Zahnarzt aus Mainz – brachte dieses Fahrzeug und sich selbst zwar sehr wirkungsvoll ins Fernsehen – Höhepunkt war eine inszenierte Behandlung der rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerin – aber nicht nach Nepal.

Die AZB plus erfuhr 1995 von dem Klinikmobil, das bereits seit geraumer Zeit in einer Garage in Mainz auf einen Nutzer wartete. Nach mühsamen Recherchen stellten wir fest, dass besagter Zahnarzt aus Mainz gar keinen Verein hatte, wohl aber einen Hang zur werbewirksamen Selbstdarstellung. Kurzum – nach Tätigwerden unseres Anwaltes kamen wir nach ungezählten Schriftwechseln und Telefonaten in den Besitz unseres Wunschautos! Auf den Anwaltskosten blieben wir natürlich sitzen. Der Wagen wurde von Mainz nach Heidelberg verbracht und nun verwendeten wir viel Mühe darauf, alle erforderlichen Importgenehmigungen und Transportpapiere für die neuerliche Einfuhr in Brasilien zu erhalten. Nach über einem Jahr war es dann soweit. Auf einem Tieflader, versehen mit einer Inspektion und einer gründlichen Wäsche verließ unser neuer „Stolz“ Heidelberg, um vier Wochen später in Brasilien anzukommen. Nach der Auszollung wurde das Amphibienfahrzeug mit Hilfe uns wohlgesonnener und einflussreicher Mitglieder des Salesianerordens in Cuiabá eben dorthin verbracht, überstand aber die Fahrt durch den halben Kontinent nur mit Mühe.

Der Motor unseres Renners aus Zittau hatte, konstruiert für das kalte östliche Europa, mit seiner nicht abschaltbaren Vergaservorheizung große Schwierigkeiten mit den extremen südamerikanischen Temperaturen. Ein Austausch des Motors war unvermeidbar. Der einzige Daimler-Robur weltweit befindet sich nun im brasilianischen Outback, versehen mit einem PS – starken Mercedes Spezialmotor, der sonst nur Unimogs bewegt.

Von Cuiabá aus, wo er in einer Garage des Salesianerordens stand und von deutschen Mechanikern gewartet wurde, startete er drei Jahre lang mit unseren Einsatzteams in die Indianerschutzgebiete im Westen Brasiliens. Nur mit einem solchen geländegängigen Ambulanzfahrzeug konnten wir die entlegenen Reservate der Meruri, Nambiguara und Xavantes-Stämme erreichen und dort mit größeren Teams, mit bis zu zehn Teilnehmern, unsere Behandlungen durchführen. Endlich wird dieses Auto, um das sich so viele Anekdoten ranken, dort eingesetzt, wo es gebraucht wird!